Ebolaverlierer

Veröffentlicht am 08.07.2015.

Seit in der letzten Woche in den internationalen Medien zu lesen war, dass es nach einer dreiwöchigen Pause in der sierra leonischen Hauptstadt Freetown wieder Fälle von Ebola gibt und auch das über mehrere Monate vorbildliche Land Liberia wieder betroffen ist, ist die Extistenz der Gesundheitskrise in Westafrika - zumindest peripher - wieder ins Bewusstsein der westlichen Weltbevölkerung geraten. Es hat in den letzten Monaten zwar signifikant weniger Infektionen mit dem Ebolavirus gegeben als Ende 2014, doch die Epidemie ist immer noch nicht vorbei und wird vor Ort bereits als Endemie bezeichnet. Auch wenn die sinkende Infektionszahl und das vielleicht nahende Ende der Epidemie einen Fortschritt bedeutet, wissen wir doch aus vielen vergangenen Krisen, dass es immer nur ein Schritt von vielen in die Zukunft ist.

Neben wenigen Gewinnern lässt Ebola viele Verlierer zurück und das sind vor allem diejenigen, die es auch vor dem Ebolaausbruch nicht leicht hatten. „Eigentlich müsste jetzt das Spendenaufkommen erst richtig hochgehen“, sagte kürzlich ein führender Mitarbeiter einer amerikanischen NGO. Und vor allem müsste die kurfristige Notfallhilfe jetzt von langfristigen Projekten abgesetzt werden. Doch das Gegenteil ist der Fall - obwohl das Gesundheitssystem immer noch gebrochen ist und zu viele Menschen an Krankheiten sterben, die behandbar gewesen wären; obwohl man immer noch zu wenig über das Ebolavirus, die Gründe für das Ausmaß dieses Ausbruchs und die Nachwirkungen, die es in den Ãœberlebenden hinterlässt weiß und dieses Forschungswissen bräuchte, um zukünftig besser auf diese und andere Epidemien reagieren zu können; obwohl viele der Waisen und Hinterbliebenen noch weit davon entfernt sind, wieder ein normales Leben zu führen und obwohl auch viele andere Existenzen grundlegend in dem Jahr der Krise zerstört wurden.

Die Probleme, die das Virus hinterlässt sind schwerwiegend und nicht kurzfristig zu lösen; sie sind kostenintensiv und brauchen Lösungen, die vor Ort entwickelt werden und sich in die hiesigen kulturellen Gegebenheiten einpassen. Sie sind nicht in wenigen Monaten zu lösen.

In einigen Distrikten von Sierra Leone gibt es seit Kurzem Kliniken, die sich exklusiv mit den Bedürfnissen der Ebolaüberlebenden auseinandersetzen. Das Bestehen aller Kliniken ist auf sechs bis zwölf Monate begrenzt, obwohl es keinerlei spezifische Therapien für die Augen-, Hör- und Schmerzprobleme der Patienten gibt und die Untersuchungen eher einer Entdeckungsreise gleichen. Sie haben beispielsweise gezeigt, dass das Virus auch Monate nachdem es nicht mehr im Blut der Patienten nachgewiesen werden konnte, sich bei einigen Menschen noch im Rückenmark, Gehirnwasser oder in den Augen befindet und zu nicht unerheblichen Problemen in den Leben der Betroffenen führt. Weil man die Ursachen der Beschwerden nicht kennt, werden die Patienten nur symptomatisch und meist nicht einmal in den Ebolakliniken selbst behandelt, sondern an allgemeine Krankenhäuser weiterverwiesen. Natürlich ist diese Phase der Erkenntnis und Forschung notwendig, um daraus Therapien und Behandlungsmöglichkeiten abzuleiten, aber wenn die zweite Phase von vorneherein ausgeschlossen wird, wird man weder langfristig über Ebola lernen, noch den Betroffenen helfen können.

Alle Kinder, die einen oder beide Elternteile an das Ebolavirus oder einen ähnlichen Umstand verloren haben, sollen wieder in eine normale soziale, familiäre Umgebung integriert werden, anstatt isoliert in Waisenhäusern zu leben – so hat das Ministery of Social Welfare, Gender and Children's Affairs entschieden. Das ist idealistisch gedacht, vielleicht im Sinne der Kinder, vielleicht auch eher ökonomisch, denn die Familien, die die Kinder aufnehmen, bekommen nicht, wie in Europa Pflegegeld, wenn sie ein Kind aufnehmen. Kann man davon ausgehen, dass Familien, die kaum für ihre eigenen Kinder und deren Bedürfnisse aufkommen können, notwendigerweise gut für ein oder weitere Kinder sorgen, die jeden Tag Kosten verursachen?

Die vergangenen Monate haben leider bereits die ersten negativen Beispiele gezeigt. Kinder, die das Virus überlebten, bekamen bei der Entlassung ein sogenanntes Ãœberlebenspaket mit Nahrung, Kleidung, Haushaltsgegenständen und Bargeld. Einige von ihnen wurden von ihren Pflegefamilien auf die Straße gesetzt, nachdem ihr Beitrag zum Haushalt aufgebraucht war. Den Ãœberlebenspaketen ähnlich gibt es mehrere Initiativen, die den Kindern kurzfristige oder einmalige Hilfeleistungen zukommen lassen. Sie lindern ein wenig die akute Not im Ãœberlebenskampf – das wirkliche Leid der Kinder – Trauer, Trauma, Ängste – vermögen sie nicht zu lindern und eine langfristige Lösung sind sie schon gar nicht.

„Wir sehen jetzt schon, dass viele der Waisen nicht mehr zur Schule gehen und ein anderer, großer Teil wird wahrscheinlich nach den Sommerferien nicht mehr wiederkommen“, sagt Phatima Mansaray, die als Sozialarbeiterin mit Ebolawaisen in Freetown arbeitet. Zur Zeit sind die Regierungsschulen noch gebührenfrei, ab dem nächsten Schuljahr fallen aber wieder die üblichen Gebühren an. „Wie soll ich meiner Enkeltochter den Schulbesuch ermöglichen, wenn ich morgens nicht einmal weiß, ob wir über Tag etwas zu Essen haben werden? Ich gönne es ihr von Herzen, aber ich weiß nicht wie“, sagt eine Frau, deren Tochter an Ebola verstorben ist und ihre Enkeltochter bei sich aufgenommen hat. Ihr Mann ist vor vielen Jahren verstorben, sie ist seit drei Jahren chronisch krank und kann keiner regelmäßigen Tätigkeit mehr nachgehen. Ihre Enkeltochter trägt nun die Verantwortung für das Ãœberleben beider. Für Phatima Mansaray ist sie der Prototyp eines Kindes, das zwangsläufig ausgenutzt werden wird. „In den ersten Wochen sind die Nachbarn noch auf ihre Bettelei eingegangen, aber irgendwann tolerieren die Leute es nicht mehr. Dann gibt es die, die nichts mehr geben und die, die eine Gegenleistung fordern. Und welche Gegenleistung kann ein junges Mädchen geben?“ Phatima Mansaray lassen viele der Schicksale, die sie zur Zeit erlebt, nicht los, sie träumt davon, bezahlt einige der Kosten, die ihr Projekt nicht übernimmt, aus eigener Tasche. Sie weiß, dass sie oft nur Löcher notdürftig stopft in dem Wissen, dass sie schon bald wieder aufreißen werden und ein Teil der Zukunft des Landes schon in jungen Jahren in ein Leben voller Abhängigkeiten gerät.

Natürlich kann man argumentieren, dass ein kurzes Projekt immerhin ein Anfang ist, besser als wegzuschauen, und vielleicht gäbe es im Verlauf doch noch die Möglichkeit, es zu verlängern. Doch Projektverlängerungen sind die Ausnahme. Die Finanzierung von Projekten ist immer ein Problem; je länger, desto teurer und damit umso unwahrscheinlicher, realisiert zu werden.

Zu beachten ist jedoch, dass ein für einen kurzen Zeitraum angesetztes Projekt anders ansetzt, als eines, das über einen langen Zeitraum angelegt ist: In kurzzeitigen Projekten werden Gelder und Mittel schnell und ohne tiefes Investment eingesetzt, oft ohne eine Gegenleistung oder zumindest ein Entgegenkommen des Empfängers zu erwarten. Es ist ein kurzes Hoch für beide Seiten: der Geber sieht sofort die Früchte seiner Arbeit, der Empfänger spürt für eine kurze Zeit eine Erleichterung, die er wie ein Geschenk erhält. Nach Projektabschluss haben Geber und Empfänger weder Verantwortung füreiander, noch Ansprüche aneinander. In Langzeitprojekten ist das anders, Gelder und Mittel werden so eingesetzt, dass man ihren Nutzen noch lange sehen kann, der Empfänger muss sich beweisen und Eigeninitiative zeigen, um im Projekt involviert zu bleiben.

Sierra Leone ist vor einigen Jahren bereits in diese Schleife der Abhängigkeit geraten, als nach dem Ende des Bürgerkriegs Hilfsorganisation über Hilfsorganisation ins Land strömte und die Bürger mit kostenloser Nahrung, Startkapital und anderem „verwöhnte“ - das ist die Wortwahl nicht weniger Sierra Leoner. Auch wenn die meisten verwöhnten Menschen hier weit entfernt von einem angenehmen Leben sind, ist die Mentalität des Forderns und Nehmens unübersehbar. „Ihr müsst uns helfen, wir sind arm“, das ist ein Standardspruch, wenn man als weiße Person im Land unterwegs ist. Oft scheint es, dass die Sierra Leoner kein Interesse daran haben, sich aus dieser Abhängigkeit und Unmündigkeit zu befreien und ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. „Es geht uns noch zu gut, als dass wir erkennen, wie schlecht es und wirklich geht. Erst die wirkliche Not macht erfinderisch“, sagen diejenigen, die die Falle der kurzfristigen Hilfe erkannt haben.

Die Parallelen zum Bürgerkrieg wurden während der Ebolakrise immer wieder gezogen, auch sie hat das Land um wahrscheinlich Jahre zurückgeworfen. Jetzt wäre es an der Zeit, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und den Menschen das zu geben, was sie wirklich brauchen: das Wissen, wie sie ihr eigenes, sicheres Boot bauen können, anstatt immer nur notdürftig Material zum Flicken der Löcher des sinkenden Bootes zu liefern.


Share on Facebook / Share on Twitter / Send Email


Überlebt - das Leben nach Ebola

Veröffentlicht am 08.07.2015.