Der rettende Piks. Manchmal

Veröffentlicht am 21.08.2015.

Als in Berlin in diesem Jahr die Masern unter nicht geimpften Kindern ausbrachen, konnten wir davon in den Schlagzeilen lesen. In Sierra Leone gab es vor wenigen Wochen in mehreren Landesteilen Masernausbrüche. Weder in den lokalen, geschweige denn in den internationalen Medien wurde es erwähnt. Obwohl viele Kinder daran sterben, obwohl es zu erwarten war und obwohl es nicht das einzige Problem im Gesundheitswesen ist, dass sich mit einer Impfung eindämmen ließe.

Die Impfung, die die meisten außerhalb Westafrikas momentan wohl mit dieser Region verbinden, ist die Ebolaimpfung. Vor Kurzem wurde bekannt gegeben, dass einer der beiden im Schnellverfahren entwickelten Impfstoffe, das Mittel VSV ZEBOV, wirksam vor einer Infektion schützen kann. Er wurde bisher nur in Guinea angewandt, in Sierra Leone noch nicht. Die hiesige klinische Studie mit dem anderen Impfstoff wurde bisher auch der allgemeinen Bevölkerung vorenthalten und genau dort treten weiterhin - wenn auch wenige - Krankheitsfälle auf. Auch wenn der Alltag in vielen Bereichen zurückgekehrt ist – der Notstand ist noch immer nicht aufgehoben, das Virus dominiert weiterhin viele gesellschaftliche Debatten und die fast vollständige Lähmung der drei Gesellschaften für etwa ein Jahr holt sie jetzt ein.

Wir befinden uns auf dem Höhepunkt der Regenzeit und diese ist dem deutschen Winter in mancher Hinsicht ähnlich: es ist kühler, der Niederschlag ist erhöht und deshalb verbringt man mehr Zeit drinnen als draußen. Viele Menschen auf engem Raum, geschwächte Abwehrkräfte aufgrund von Mangelernährung oder chronischen Krankheiten und dazu unzureichende hygienische Verhältnisse sind ideale Bedingungen für Krankheitserreger, die sich so schnell und effektiv ausbreiten können. Neben Erkältungskrankheiten und Magendarminfekten kommen in Sierra Leone noch vermehrt Malaria - denn das viele Wasser stellt ideale Brutbedingungen für die Larven dar - und durch Wasser übertragene Krankheiten wie Cholera und Typhus hinzu. Das ist normal in der Regenzeit, vor allem in den Monaten Juli und August. In diesem Jahr sind es auch Mumps, Masern, Windpocken, Tuberkulose und Polio, die sich verstärkt ausbreiten und vor allem die Kindersterblichkeit drastisch erhöhen, sagen Mitarbeiter des Gesundheitswesen, von Ärzten der Weltgesundheitsorganisation bis zu einheimischen Gesundheitshelfern und -pflegern. Vor allem die Unterfünfjährigen seien betroffen und nicht wenige, auch durch andere Krankheiten oder Mangelernährung geschwächte Kinder, erliegen den Krankheiten in diesen Tagen.

Es hat mehrere Monate gedauert, bis die Anzahl der Infektionen mit dem Ebolavirus kollektiv und objektiv - basierend auf Laborergebnissen - gezählt wurden. Die Ausbrüche anderer Krankheiten werden vielleicht an lokalen Gesundheitseinrichtungen gezählt, aber nur, wenn die Symptome ersichtlich oder anderweitig eindeutig sind; Todesfälle ohne eindeutige Zuordnung werden nicht untersucht und die Regierungsbehörden machen kaum Anstalten, die Ausbrüche zu bekämpfen oder zu koordinieren. Deshalb lassen sich weder objektiv qualitative noch quantitative Aussagen über Ausbrüche, erhöhte Krankheits- und Todesfälle in diesem Jahr machen, doch die Summe derer, die über Infektionskrankheiten neben Ebola berichten ist frappierend. Allein in der Isolationsstation vom Kamakwie Hospital, das die Kinder von vier Dörfern mit Masern im Norden des Landes aufnimmt, verzeichnen die Mitarbeiter seit nun zwei Wochen jeden Tag im Durchschnitt den Tod dreier Kinder.

Gegen Malaria gibt es keine Impfung, jedoch gegen alle anderen Infektionen. Ein Jahr lang wurde in Sierra Leone gar nicht geimpft. Ein Jahr ohne Impfungen könne keine solch desaströsen Konsequenzen haben, mag man nun einwenden, nur Babys, die im vergangenen Jahr geboren wurden, wären betroffen. Leider liegt das Problem tiefer.

Die Weltgesundheitsorganisation konstatiert auf ihrer Webseite, dass jedes Jahr drei Millionen Kinder vor ihrem fünften Geburtstag in Afrika sterben und dass ihr Tod in vielen Fällen durch Impfungen vermieden werden könne. Doch jährlich von Organisationen wie UNICEF durchgeführte Impfkampagnen in Westafrika funktionieren bei Weitem nicht so effektiv wie in westlichen Ländern, weil unzureichende Kühlsysteme oder die Unterbrechung der Kühlkette häufig die Wirkstoffe zerstören, längst nicht alle Eltern die zum Teil großen Entfernungen zu den Impfzentren zurücklegen können und das Verständnis für die Wirkungsweise einer Impfung vor allem unter den Analphabeten nicht vorhanden ist.

Besorgniserregend ist besonders eine Impfkampagne für Hunde, die im Jahr des Ebolaausbruchs ausfiel: Tollwut. In Sierra Leone gibt es viele Straßenhunde, vor allem in den größeren Städten. Tollwut ist seit jeher ein Problem, deshalb impft eine Tierschutzorganisation in jedem Jahr großflächig die Hundepopulationen in sierra leonischen Städten – außer im vergangenen Jahr. Als sich das Gerücht herumsprach, dass auch Tiere Ebola übertrügen, setzte angeblich so mancher Hundebesitzer sein Tier aus, wodurch sich die Anzahl der streunenden Hunde erhöht haben soll – dazu gibt es keine verlässlichen Zahlen, aber es könnte realistisch sein und so kann man nur hoffen, dass dies nicht noch zu einem Problem wird.

Mindestens genauso schwer wie die Ineffizienz der Impfungen wiegt das geschwächte Gesundheitswesen - vor dem Ausbruch schon unzulänglich, denn wäre es intakt gewesen, hätte das Ebolavirus sich nie in dem Maße ausbreiten können -, das sich bei Weitem noch nicht erholt hat. Durch den Tod vieler Ärzte und Pfleger sind viele Gesundheitseinrichtungen unterbesetzt oder noch nicht wieder eröffnet. Vor allem in den ländlichen Gebieten liegen die Gesundheitsstationen weit auseinander, ihre Reduktion und die verschlammten Straßen während der Regenzeit machen sie für einige Bevölkerungsteile unerreichbar. Zudem ist das Vertrauen in sie, dass sie Besserung und nicht Krankheit und Tod bringen, noch nicht wieder hergestellt.

Schon Prä-Ebola war es in Sierra Leone üblich, sich auf Gutdünken selbst zu behandeln, meist um Krankenhauskosten zu sparen oder weil man wusste, dass viele Ärzte sich ihre Diplome erkauft hatten. Die Symptome von Malaria, Typhus und Erkältungen meinen die meisten zweifelsfrei identifizieren zu können und holen sich die entsprechenden Medikamente in der Apotheke. Eine Verschreibungspflicht gibt es nicht und die meisten Apothekeninhaber mit keiner oder nur geringer medizinische Ausbildung haben weder von Zusammenhängen im menschlichen Körper, noch von Krankheiten und deren Behandlung eine Ahnung. Dennoch geben sie Antibiotika und hochdosierte Schmerzmittel aus und setzen sogar Spritzen und Infusionen. Obgleich man meinen könnte, dass die Sierra Leoner, von vielen schweren Krankheiten geplagt, einiges aushalten müssten, neigen sie doch dazu, schon bei Kleinigkeiten zu starken Medikamenten zu greifen. Ohne die Wirksamkeit von Antibiotika zu verstehen, erlebt man es oft – zu oft -, dass sie sich ihrer selbst bei einer Magenverstimmung oder einer Prellung bedienen. Häufig dann nur für einen kurzen Zeitraum, sodass ein mögliches Bakterium nicht gänzlich abgetötet wird, oder überdosiert, indem alle Tabletten auf einmal oder über nur einen Tag verteilt genommen werden. Zum Missbrauch von Medikamenten gibt es keine statistischen Zahlen, wie zu kaum etwas in diesem Land. Durch den Ebolaausbruch ist jedoch das gesamte Gesundheitswesen mehr in den Fokus der Behörden als auch der NGOs gerückt und ein Konglomerat von NGOs und Beamten denkt derzeit über ein Studiendesign nach, das dieses Phänomen untersuchen soll, da auch Ãœberdosen eine nicht unerhebliche Komponente im Anstieg der Kindersterblichkeit sein könnten, wenn mehr Kinder präventiv oder schon bei leichten Symptomen mit starken oder erhöhten Dosen behandelt werden. Allerdings will bisher noch niemand die Studie finanzieren.

Das Problem ist so großflächig, von so vielen Faktoren bedingt und scheint so hoffnungslos, denn es erfordert nicht nur eine Restrukturierung des Gesundheitswesen, der Ausbildung des medizinischen Personals, sondern auch der allgemeinen Infrastruktur, die den Zugang zu Gesundheitseinrichtungen überhaupt erst ermöglichen würde, und am wichtigsten: ein gesamtgesellschaftliches Umdenken.


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Veröffentlicht am 21.08.2015.